Nachgerechnet: 1892 und ihre Klagen über die Wirkungen des Mietendeckels

Die Adresse Knobelsdorff-Str. 96 ist so etwas wie das Headquarter der Bewegung gegen den Mietendeckel. Dort residiert die „Initiative Wohnungsgenossenschaften“ (die mit dem Bauklötzchen-Logo), die im letzten Jahr die Litfaßsäulenkampagne gegen den Mietendeckel organisierte. Dort ist auch die „Gilde Heimbau“ zu Hause, eine 100%ige Tochter von 1892, die u.a. die Mitgliederzeitungen produziert, in denen das Kampagnenmaterial der „Klötzcheninitiative“ abgedruckt wird, und schließlich die Geschäftsstelle der Berliner Bau- und Wohnungsgenossenschaft von 1892 eG, mit knapp 7000 Wohnungen eine der Großen in Berlin.

Ein Gang durch die hauseigene Mitgliederzeitung „1892 aktuell“ zeigt, wie der Vorstand von 1892 im Jahr 2019 alle Register gezogen hat, um Stimmung gegen den Mietendeckel zu machen.

Eine Kostprobe der Vorstandspropaganda: Ein Mietendeckel, warnt 1892, schade allen, „die…

(Auszug aus 1892 aktuell 2/19)

1892-Vorstand Dirk Lönnecker (gleichzeitig Geschäftsführer der Gilde Heimbau) wandte sich in einem persönlichen Kommentar noch einmal besonders an die älteren Genoss*innen: Man habe im Frühjahr „Überlegungen angestellt, ob wir nicht für unsere älteren Mitglieder einen weiteren Bonus einführen könnten.“ Diese Möglichkeit des Einfrierens des Nutzungsentgeltes sei wegen des Mietendeckels erst einmal gestrichen (ebda.).

Kräftige Gewinne, fette Rücklagen…

Was ist dran an den Klagen von 1892 (und anderen Genossenschaften), dass der Mietendeckel sie handlungsunfähig macht? Wir haben uns die Bilanzen der letzten Jahre angeschaut.

1892 ist ein recht gut verdienendes Unternehmen. Die Gewinnentwicklung in der Genossenschaft in den letzten Jahren zeigt die folgende Grafik:

Jahresüberschuss in Tsd. € (Quelle: Geschäftsberichte)

In den letzten 7 Jahren hat die 1892 einen Gesamt-Überschuss von knapp 40 Millionen Euro erwirtschaftet.

Ein großer Batzen davon wurde nicht ausgegeben, sondern ging in die Aufstockung der Rücklagen. Dabei ist zu unterscheiden zwischen den gesetzlichen Rücklagen (eine verpflichtende Risikovorsorge) und anderen, freiwilligen Rücklagen etwa für besondere Ausgaben. Ende 2019 lagen die akkumulierten Rücklagen bei 59,1 Mio. Euro. Nicht einmal die Hälfte davon – 25,95 Mio. Euro (43%) – waren gesetzliche Pflichtrücklagen.

Und noch eine interessante Zahl: 1892 weist unter ihren Aktiva beim Umlaufvermögen unter flüssige Mittel bei ‚Kassenbestand, Postbankguthaben und Guthaben bei Kreditinstituten‘ mehr als 13,5 Mio. Euro aus.

Im Klartext: Die Genossenschaft schwimmt im Geld, das sie seit Jahren weder ausgibt noch den Genoss*innen zurückgibt.

… aber steigende Nutzungsentgelte

Trotz dieser Überschüsse, zu denen u.a. die sinkende Zinslast beigetragen hat, erhöhte 1892 jährlich die Nutzungsentgelte:

Durchschnittliches Nettokalt-Nutzungsentgelt/qm € (Quelle: 1892 Geschäftsberichte)

Seit 2013 stieg das durchschnittliche Nutzungsentgelt jedes Jahr um ca. 2%: von 5,44 € auf 6,11 €.

Inzwischen ist ein Niveau erreicht, das die Grenzwertregelung des Mietendeckels ins Spiel bringt.

Nach Unternehmensangaben musste in 2020 das Nutzungsentgelt für 1.222 Wohnungen wegen des Mietendeckels gesenkt werden – darin enthalten sind 257, die in den Bereich der sogenannten Wuchermiete fallen (20% und mehr über dem Grenzwert). Insgesamt sparten die Bewohner*innen ca. 31.000 € monatlich (alle Angaben: 1892 aktuell, 1-20).

Mieten, die unterhalb der „Wuchermiete“, aber über dem entsprechenden Mietendeckelwert liegen, müssen bei einer Neuvermietung abgesenkt werden. „Im Falle von Wohnungskündigungen „, spekuliert vor diesem Hintergrund die Genossenschaft, „müssten wir im Zuge der Neuvermietung bei 2185 Wohnungen die Mieten absenken, insgesamt könnten damit Mindereinnahmen von 85.652,02 € im Monat auf die Genossenschaft zukommen.“ (ebda.) Nur zur Erinnerung: 1892 hat ca. 7000 Wohnungen. D.h. damit diese Zahl erreicht wird, müsste mehr als ein Viertel der Bewohner*innen die Wohnung aufgeben – das wäre wohl genossenschaftlicher Weltrekord!

Mietendeckel = Korrektur hoher Nutzungsentgelte

Wie dem auch sei: Selbst wenn das Wohnen bei 1892 so unattraktiv ist, dass die Genoss*innen scharenweise ausziehen, wird die Mehrbelastung 1 – 1,5 Mio. €/Jahr kaum überschreiten. Der auf 5 Jahre befristete Mietendeckel dürfte die Genossenschaft also ca. 5 – 7 Mio. Euro kosten – Geld, wohlgemerkt, das an die Wohnenden zurückfließt, denn es sind ihre Nutzungsentgelte, die jährlich trotz großer Überschüsse immer wieder erhöht wurden. Bei diesen gehorteten Millionen ist das ein lächerlicher Betrag, wegen dem keine Investition ausfallen muss. Allein die flüssigen Mittel reichen aus, um zehn Jahre Mietendeckel zu finanzieren.

Dass bei 1892 die goldenen Jahresüberschusszeiten aber auch mit dem Mietendeckel nicht vorbei sind, wurde letztendlich deutlich bei der Vorlage des Geschäftsberichtes 2019. Dort heißt es: „Die aktuelle Mittelfristplanung weist weiterhin positive Jahresergebnisse aus; der kumulierte Jahresüberschuss der Jahre 2020 bis 2024 liegt bei 9,5 Mio. €. Die erwarteten Auswirkungen des Mietendeckel-Gesetzes haben wir in unseren Unternehmensplanungen berücksichtigt.“ (Geschäftsbericht 2019, S.25).

 

5 Gedanken zu “Nachgerechnet: 1892 und ihre Klagen über die Wirkungen des Mietendeckels

  1. Hallo, ich weiß, was die liebe 1892 eG mit unserem Geld macht, und zwar hat sie vor gar nicht langer Zeit den dritten Vorstandsposten eingerichtet und die nunmehr drei Herren verdienen – laut Hörensagen – stolze Sümmchen, von denen wir armen Genossenschafterinnen und Genossenschafter nur Träumen können.

    Wieso werden die Vergütungen von Vorstandsvorsitzenden nicht veröffentlicht. Und wieso werden derartige lukrative Pöstchen nicht öffentlich ausgeschrieben?

  2. Günter Piening, welche Intention steckt Ihrer/Deiner Auffassung nach hinter diesem Vorgehen, hohe Rücklagen zu bilden und sich gleichzeitig gegen Mietenbegrenzungen zu wenden? Das klingt ja so erstmal geradezu irrational, nach Dagobert-Duck-Syndrom.

    1. Liebe Margit Engler, die Geschäftsberichte von 1892 geben keine Antwort auf Ihre Frage, warum Jahr für Jahr mehr Millionen gehortet werden. Mit nachvollziehbarer Risikovorsorge hat das schon lange nichts mehr zu tun.

      Warum bei diesen Überschüssen der Vorstand von 1892 und andere Genossenschaftsvorstände, die über ähnliche Rücklagen verfügen, gegen den Mietendeckel agitieren, kann ich nur vermuten. Da spielen wohl vor allem politische Positionierungen gegen die derzeitige Senatskonstellation eine Rolle. Auf jeden Fall ist wichtig, öffentlich zu machen, dass die Behauptung, man sei dadurch in seiner wirtschaftlichen Situation gefährdet, absolut keine Grundlagen hat.

      Interessant finde ich aber auch die Frage, warum die Mitglieder der Genossenschaften das mit sich machen lassen. Brav zahlen sie jährlich mehr Miete, die sich aus der Finanzlage der Genossenschaft in keinster Weise herleiten lässt. Wenn inzwischen mehrere 1000 Wohnungen über dem Grenzwert des Mietendeckels liegen, zeigt das doch, wie überfällig eine kritische Mitgliederdiskussion bei 1892 ist.

  3. Pro Mietendeckel: Gerade der Wohnungsbestand der großen Genossenschaften ist zumeist einfachste Bausubstanz, was den Wert einer Immobilie erheblich mitbestimmt und insofern auch zu erzielende Mieten.
    Es ist noch gar nicht so lange her, da waren viele Genossenschaftswohnungen gar nicht so attraktiv und es herrschte Leerstand. Papierne Wände, d.h. gänzlich fehlende Schallisolierung, insbesondere bei den Nachkriegsbauten aus den 1950er Jahren (Wiederaufbauprogramm) sorgten für reichliche Konflikte in der Nachbarschaft. Mittlerweile werden selbst dunkle Erdgeschosswohnungen zu Fantasiemieten angeboten und auch Wohnungsgenossenschaften machen dabei munter mit, obwohl sie keine Gewinne oder Renditen für Ihre Aktionäre erzielen müssen. Deswegen schützt der Mietendeckel auch die Mieterinnen und Mieter von Genossenschaftswohnungen, insbesondere auch wegen des unsolidarischen Verhaltens ihrer (Manager)- Vorstände, die stattdessen lieber mit der Immobilienwirtschaft kooperieren.

    Herr Piening zu Ihrer Frage: Wieso befreien sich die Mitglieder*innen der Wohnungsgenossenschaft 1892 eG (sowie auch in den anderen größeren Genossenschaften) nicht aus Ihrer (vermeintlich) selbstverschuldeten Unmündigkeit? Sorry, aber ein bisschen klingt da für mich schon ein leiser Vorwurf mit, den sie da an die Adressaten richten. Die Unmündigkeit wird meines Erachtens durch Gesetze und Satzungen hervorgerufen, die so konstruiert werden, dass von ehemals schillernden Idealen nur noch gängige Immobilienwirtschaft übrig bleibt. Wieso begehren Menschen nicht gegen inhumane Arbeitsbedingungen z. B. in der Pflegebranche auf? Wieso begehren Menschen nicht gegen ein ungerechtes Bildungssystem auf? Wieso begehren Menschen nicht gegen Hartz 4 auf? Derartige Fragen kann man sich doch zuhauf stellen!
    Hier zumindest für Ihre Frage eine mögliche Begründung. Die Vorstände in den Genossenschaften werden fürstlich entlohnt und die regulierenden Mitbestimmungsorgane dürfen die Mitglieder:innen ehrenamtlich ausüben. Widerstand muss man sich zeitlich und finanziell leisten können.

  4. Nun,

    als Mieter der 1892 kann ich sagen, dass es im Gegensatz zum freien Markt eben immer noch günstig ist, dort zu wohnen. Die Mietendeckel Schreiben in 2019 haben mich auch verwundert. Noch schlimmer ist jedoch, dass in 2020 Kurzarbeit für Mitarbeiter beantragt wurde und öffentliche Mittel eingestrichen wurden, ohne wirtschaftliche Not. Gesellschaftliche Verantwortung sieht anders aus. Und aktuell wird nur ausgewählten Mitarbeitern Homeoffice gewährt. Bleiben Sie bitte kritisch in Ihrer Berichterstattung.

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