Gemeinwohlorientierte Bodenspekulation

Es besteht weitgehend Einigkeit darüber, dass gemeinwohlorientiertes Verhalten staatlich gefördert werden soll. Aber wo fängt das „Gemeinwohl“ an, wo hört es auf? Das ist eine umkämpfte Grauzone, denn alle möchten ein Stück vom Förder-Kuchen. Vor allem, wenn das begehrte Spekulationsgut Boden wieder zum Verkauf steht – an Genossenschaften, da diese  gemeinwohlorientiert seien. So steht es im Koalitionsvertrag.

Berühmt-berüchtigt ist der Satz von Maren Kern, Vorsitzende des Verbands Berlin-Brandenburgischer Wohnungsunternehmen e.V. (BBU): „Die BBU-Mitgliedsunternehmen sind klar gemeinwohlorientiert.“ (Quelle, zuletzt gelesen am 17.4.2023). Damit hatte sie auch den BBU-Mitgliedern Vonovia und Deutsche Wohnen, deren Geschäftsmodell auf Aufwertung und Spekulation beruht, den Heiligenschein der Gemeinwohlorientierung verliehen.

Angesichts dieser Unbestimmtheit heißt es, genau hinzuschauen, wenn im CDU/SPD-Koalitionsvertrag „Gemeinwohl“ im Zusammenhang mit staatlicher Förderung auftaucht. So soll das Quartier am Molkenmarkt mit LWU und „gemeinwohlorientierten Bauherren“ (Koalitionsvertrag S. 54) entwickelt werden. Ein Angebot also auch für Unternehmen á la Vonovia, um hochpreisige Townhouses zu bauen?

Mit dem Gemeinwohl wird im Koalitionsvertrag auch eine besondere Genossenschaftsförderung begründet. Das galt schon unter RGR – damals ging es vor allem um die Vergabe von Grundstücken in Erbpacht. Im schwarzroten Vertrag bekommt diese Ankündigung nun eine besondere Brisanz. Denn es sollen wieder städtische Grundstücke verkauft werden – an Genossenschaften, da diese gemeinwohlorientiert seien.

Gemeinwohl wird damit an der Rechtsform Genossenschaft festgemacht. Aber sind Genossenschaften grundsätzlich gemeinwohlorientiert? Sicher nicht, denn das Genossenschaftsgesetz lässt seit den letzten Novellierungen auch Modelle zu, die wie Investorenmodelle funktionieren (investierende Mitglieder als Entscheider, eigentumsorientierte Genossenschaft usw.). Auch die derzeit beliebten Mischmodelle – Genossenschaften plus Privatinvestoren finanzieren gemeinsam ein Bauprojekt – verwässern die Grenzen. Für findige Unternehmer tun sich hier Scheunentore auf, um an Grundstücke und Finanzierung zu kommen.

Eine andere Förderpolitik ist überfällig

Der inflationäre Gebrauch des Gemeinwohlbegriffs als Förderkriterium und die Suche nach Alternativen beschäftigt die wohnungspolitische Diskussion seit längerem. Auf Bundesebene wird mit Gesetzentwürfen zur Neuen Wohngemeinnützigkeit versucht, härtere Kriterien für die Förderfähigkeit zu entwickeln. In Berlin hatte 2021 das „Initiativenforum Stadtpolitik“ in einem vielbeachteten Mietenpolitischen Dossier Vorschläge unterbreitet, eine Förderung nicht mehr an der Rechtsform, sondern an inhaltlichen Kriterien auszurichten. Dazu gehören:
• Genossenschaftliches Identitätsprinzip: Nutzer:innen sind zugleich gemeinschaftliche Eigentümer:innen.
• Demokratie: Nutzer:innen haben das Recht, über wesentliche Vorgänge und Geschäfte mitzuentscheiden (zum Beispiel Neubau, große Sanierungen, Zukauf, Verkauf und Abriss).
• Sozialbindung: Zur Sicherung leistbarer Nutzungsentgelte erfolgt die Bewirtschaftung nach dem Kostendeckungsprinzip, private Gewinnaneignung ist ausgeschlossen.
• Eigentumsbindung: Umwandlung in Privateigentum ist ausgeschlossen.

Ergänzend müsste eine umfassende Berichtspflicht dazukommen, die das unternehmerische Handeln in den „Gemeinwohldimensionen“ transparent macht (Beispiel: Gemeinwohlbilanz der Möckernkiez eG ).

Das hieße in der Konsequenz, dass Genossenschaften nur gefördert werden, wenn sie nachweisen, dass sie nach diesen gemeinwirtschaftlichen Prinzipien arbeiten. Aber auch andere Rechtsformen wie das Mietshäuser-Syndikat und andere gemeinwirtschaftliche Haus- und Wohnprojekte würden förderfähig, wenn sie die Kriterien erfüllen.

Die Anregungen im Mietenpolitischen Dossier 2021 sind schon vom rotgrünroten Senat nicht aufgegriffen worden, und die Gesetzentwürfe für eine Neue Wohngemeinnützigkeit scheinen in der Schublade verschwunden zu sein. Die aktuelle Entwicklung zeigt umso dringlicher, wie nötig eine Neuorientierung ist, wenn staatliche Förderung nicht in die Taschen findiger Investoren fließen soll. Das gilt besonders dann, wenn eine Kehrtwende in der städtischen Bodenpolitik droht und das Verscherbeln städtischen Bodens wieder möglich wird. Denn nichts verspricht bekanntlich mehr Spekulationsgewinn als der Besitz von Boden.

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