Werkswohnungen verkleidet als Genossenschaft ?
Das Kapital kapert die Idee solidarischen Wohnens

Die Havelschanze ist ein attraktives Wohngebiet am Spandauer Nordhafen. Hier entsteht auf einer Brache eine schicke Wohnanlage mit 110 Wohnungen. Die Anlage ist ein Projekt der „Ersten Mitarbeiterwohnungsbaugenossenschaft Job & Wohnen Berlin eG“.  „Job & Wohnen“ rühmt sich, Facharbeitermangel und Wohnungsnot gleichermaßen zu bekämpfen. Aber ist das Unternehmen wirklich eine Wohnungsgenossenschaft? Daran hat selbst der Wohnungsverband GdW Zweifel.

Die Kernidee von Genossenschaften ist, Wohnraum als Gemeinschaftseigentum von Genoss:innen zu bewirtschaften. Solidarität, Selbstverwaltung und lebenslanges Wohnrecht sind Fundamente des genossenschaftlichen Wohnens. Dies honoriert der Staat durch eine spezielle Förderung. Das lockt aber auch Investoren. Die Versuche privatwirtschaftlicher Interessengruppen, die Genossenschaftsidee zu kapern, sind vielfältig: Familiengenossenschaften, eigentumsorientierte Genossenschaften, die Öffnung von Genossenschaften für Kapitalinvestitionen…

Die 2019 gegründete „Erste Mitarbeiterwohnungsbaugenossenschaft Job & Wohnen Berlin eG“ erweitert die Palette um eine neue Kreation. Initiator des Konzepts „Mitarbeitergenossenschaft“ ist der Rechtsanwalt Dr. Peter Diedrich, Mitinhaber der auf Immobiliengeschäfte spezialisierten DSC Legal Rechtsanwaltsgesellschaft. Diedrich ist auch Vorsitzender des „Deutschen Verbandes Job & Wohnen e.V.“ (dvjw), der die bundesweite Lobbyarbeit für sein Modell betreibt (mehr auf haufe.de, letzter Aufruf 24.4.23)

Was ist eine „Mitarbeiterwohnungsgenossenschaft“?

„Mitarbeiterwohnungsgenossenschaft“ ist eine kreative Wortschöpfung, die weder rechtlich noch genossenschaftshistorisch hergeleitet ist. Es ist auch keine Genossenschaft der Mitarbeiter:innen, sondern Mitglieder sind Unternehmen, die eine Wohnanlage bauen und betreiben (lassen) und dafür Belegungsrechte an Wohnungen erhalten: „Ein Belegungsrecht gibt seinem Inhaber das unbefristete Recht zu bestimmen, welche seiner Mitarbeiter zur Nutzung der betreffenden Wohnung auf Grundlage eines Mietvertrages (§ 576 BGB) mit der Genossenschaft berechtigt sein sollen.“ – so der dvjw auf seiner Webseite. Der Werkswohnungsparagraph 576 schränkt das Mietrecht ein – Mietern kann mit Monatsfrist gekündigt werden, wenn der Arbeitsvertrag beendet ist. Die Job & Wohnen-Genossenschaft funktioniert also so: Die Genossen (= Unternehmen) erhalten entsprechend ihren Anteilen Belegungsrechte an Wohnungen, die sie dann unter den hire & fire-Bedingungen des § 576 BGB an Beschäftigte vermieten.

Es gehört zum Job & Wohnen-Versprechen, dass die Unternehmensgenossen sich nicht allzu viel um leidige Genossenschaftsangelegenheiten kümmern müssen. Dafür ist die „JWS Job & Wohnen Servicegesellschaft mbH“ zuständig, zu deren Aufgaben lt. Handesregistereintrag „Administration; Entwicklung und Umsetzung von Wohnprojekten im genossenschaftlichen Modell; treuhänderisches Halten und Verwaltung von Belegungsrechten“ gehören. Deren Geschäftsführer ist Ralf Eric Nestler, ein umtriebiger Projektentwickler mit einem umfangreichen Immobilienbestand in ganz Deutschland. Er ist  praktischerweise gleichzeitig Vorstandsmitglied der „Erste Mitarbeiterwohnungsbaugenossenschaft Job & Wohnen Berlin eG“. (Mehr zum Unternehmensgeflecht hier. )

Handelt es sich überhaupt um eine „Wohnungsgenossenschaft“?
"Wollen Sie hier wohnen? Dann sprechen Sie mit Ihrem Arbeitgeber" - das Baustellenschild macht klar, dass in dieser Wohnungsgenossenschaft die Wohnenden nichts zu sagen haben.
„Wollen Sie hier wohnen? Dann sprechen Sie mit Ihrem Arbeitgeber“ – das Baustellenschild macht klar, dass in dieser Wohnungsgenossenschaft die Wohnenden nichts zu sagen haben.

Auch wenn die Genossenschaft nach eigenen Angaben vom „Genossenschaftsverband – Verband der Regionen“, zu dem vorwiegend Kreditgenossenschaften, Landwirtschaftliche Genossenschaften, Gewerbliche Genossenschaften, Energie-, Immobilien- und Versorgungsgenossenschaften, Schülergenossenschaften gehören, (https://www.genossenschaftsverband.de/mitglieder/) das Prüfsiegel bekam, stellt sich die Frage: Ist so eine Hybridkonstruktion,  die das lebenslange Wohnrecht zu einem lebenslangen Belegungs- bzw. Vermietungsrecht pervertiert, überhaupt eine Wohnungsgenossenschaft im Sinne des Genossenschaftsgesetzes? Das bezweifelt selbst der GdW, der Bundesverband deutscher Wohnungs- und Immobilienunternehmen, der sonst nicht gerade zimperlich ist, wenn es um eine findige Renditeidee geht.

Allgemein begrüße man zwar „Anstrengungen im Bereich des Mitarbeiterwohnens“, kommentierte GdW-Hauptgeschäftsführerin Ingeborg Esser die gewagte Rechtskonstruktion gegenüber haufe.de. Esser: „Grundsätzlich würden wir es jedoch befürworten, wenn die Wohnungsnutzer auch Mitglieder der Genossenschaft sind.“ Das Genossenschaftsrecht erlaube zwar, dass Nichtmitglieder unter bestimmten Voraussetzungen Wohnungen nutzen. „Hierbei gibt es jedoch Grenzen. Das Nichtmitgliedergeschäft darf nicht überwiegen oder ausschließlich betrieben werden.“ (Esser). Jedenfalls handele es sich bei der Job & Wohnen eG „nicht um eine klassische Wohnungsgenossenschaft“.

Warum wollen Unternehmer plötzlich Genossen sein?

Die hübschen Schaubilder auf der Job & Wohnen-Webseite legen nahe, dass die Wohnanlage Havelschanze recht guten Wohnraum für Werksmitarbeitende bieten wird, und das zu konkurrenzlosen Preisen zwischen 6,50 € (für WBS-Inhaber:innen) und 12 €/qm. Und sicher ist es gerade in Großstädten sinnvoll, wenn sich Unternehmen zusammenschließen und Wohnraum für Mitarbeitende anbieten. Das meint auch die IG Metall, die auf der Homepage von „Job & Wohnen“ als Unterstützerin auftaucht. Auf Anfrage erklärte Markus Sievers, Pressesprecher der IG Metall Bezirksleitung Berlin-Brandenburg-Sachsen im Frühjahr 2022 gegenüber den GENOSSENSCHAFTER*INNEN: „Job & Wohnen hat die soziale Frage beim Wohnen im Blick. Die Mieten steigen zum Teil erheblich an, vor allem in den Großstädten. Die Menschen sind zugleich elementar auf bezahlbares Wohnen angewiesen. Das betrifft auch die Mitglieder der IG Metall. Der Verband setzt sich für nachhaltige Konzepte zur Schaffung von bezahlbarem Wohnraum im Rahmen einer solidarischen Daseins- und Altersvorsorge ein. Für uns geht es um die Frage, wie solche Wohnkonzepte verbunden werden können mit Leistungen der Arbeitgeber zur Fachkräftesicherung und ggf. im Zusammenhang mit einer strategischen Ergänzung der Altersversorgung unserer Mitglieder.“

Dem ist sicherlich zuzustimmen, auch wenn das mit Altersversorgung unter den Bedingungen des § 576 BGB schwer vorstellbar ist. Aber warum ausgerechnet die Rechtsform Genossenschaft? Da lässt sich nur spekulieren. So gilt für Wohnungsgenossenschaften unter bestimmten Bedingungen der Wegfall der Körperschaftssteuer. Interessant ist auch die EU-Initiative zur Einführung einer sozialen Taxonomie, d.h. Finanz-Investitionen würden damit auch anhand sozialer Kriterien bewertet. Und nicht zuletzt verspricht das gute Image der Genossenschaften Vorteile bei der Konkurrenz um die knappe Ressource Boden. Denn in den Ballungszentren werden landeseigene und kommunale Grundstücke kaum noch an x-beliebige Investoren vergeben, sondern an Bauträger mit einer gemeinwohlorientierten Ausrichtung. Das ganze Gemeinwohlgeklapper, das auf den Webseiten von Job & Wohnen zu finden ist, wird zum echten Konkurrenzvorteil bei der Suche nach Bauflächen.

Wie kam Job & Wohnen an das Filet-Grundstück aus Landesbesitz?

In Berlin scheint man damit Erfolg gehabt zu haben. Im September 2021 jubelte „Job & Wohnen“ in einer Pressemitteilung: „Erste Mitarbeiterwohnungsbaugenossenschaft Job & Wohnen Berlin eG“ konnte auf dem Weg der Direktvergabe durch das Berliner Abgeordnetenhaus ein attraktives Grundstück in unmittelbarer Havelnähe für sich gewinnen!“ Die Nachricht war zwar ein wenig zu voreilig, aber im März 2022 wurde die Vergabe tatsächlich im Hauptausschuss beschlossen.

Die Havelschanze in Spandau ist nicht gerade ein Stück von der Resterampe, von der Genossenschaften sonst oft bedient werden. Das Grundstück liegt in einem attraktiven Wohngebiet an der Havel (in der zweiten Reihe). Und an dieser Stelle wird es wohnungspolitisch problematisch: Ein Unternehmerverband, der Wohnungen vermietet, sticht bei der Grundstücksvergabe echte Genossenschaften aus, deren Geschäftsmodell auf lebenslangem Wohnrecht und demokratischen Strukturen beruht.
Noch problematischer wird es, wenn dieser Deal in Direktvergabe, also unter Umgehung des in Berlin bei der Vergabe von landeseigenen Grundstücken obligaten Konzeptverfahrens stattgefunden hat.

Mit dem Modell der Mitarbeiterwohnungsgenossenschaft ist ein weiterer Schritt hin zur Verwässerung des Genossenschaftsgedankens getan. Die Öffnungen, die in den letzten Novellen des Genossenschaftsgesetzes vorgenommen wurden, führen dazu, dass Grundstücke und Fördergelder in die Kanäle privater Investoren umgeleitet werden können. Da aber der Fördertopf nicht größer und voller wird, bleibt für die engagierten Genossenschaften, die die ursprünglichen Ideen von Selbstverwaltung und Solidarität umsetzen und leben wollen, weniger übrig. Für Genossenschaftsmitglieder heißt das, sich für eine Neuausrichtung der Förderpolitik einzusetzen, die sich nicht an der – vielfach gekaperten – Rechtsform orientiert sondern am genossenschaftlichen Handeln. Und öffentlich deutlich zu machen, dass in einer „Genossenschaft“ nicht unbedingt eine Genossenschaft steckt.

 

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