Genossenschaftsgründungen: Gemeinwohl auf Abwegen

Es besteht weitgehend Einigkeit darüber, dass gemeinwohlorientiertes Verhalten auf dem Wohnungsmarkt staatlich gefördert werden soll. Aber wo fängt das “Gemeinwohl” an, wo hört es auf? Das ist eine umkämpfte Grauzone, denn alle möchten ein Stück vom Förder-Kuchen. Vor allem, wenn, wie von der schwarz-roten Koalition geplant,  das begehrte Spekulationsgut Boden wieder zum Verkauf steht – an Genossenschaften, da diese gemeinwohlorientiert seien. Merkwürdige Genossenschaftsmodelle wie „Job und Wohnen“ oder aktuell die AIV-Genossenschaft haben mit den Zielen traditioneller Genossenschaften nur noch wenig zu tun, sie sind eher eine Art Investmentfond, geboren aus der Gier nach dem knappen Gut Boden. Kann diese Entwicklung der Genossenschaftsbewegung egal sein? Ein Kommentar

Was ist Gemeinwohl? Berühmt-berüchtigt ist der Satz von Maren Kern, Vorsitzende des Verbands Berlin-Brandenburgischer Wohnungsunternehmen e.V. (BBU): “Die BBU-Mitgliedsunternehmen sind klar gemeinwohlorientiert.“ (Quelle, zuletzt gelesen am 17.4.2023). Damit hatte sie auch den BBU-Mitgliedern Vonovia und Deutsche Wohnen, deren Geschäftsmodell auf Aufwertung und Spekulation beruht, den Heiligenschein der Gemeinwohlorientierung verliehen.

Auch der schwarz-rote Koalitionsvertrag begründet eine besondere Genossenschaftsförderung mit dem Gemeinwohl. Das galt schon unter RGR – damals ging es vor allem um die Vergabe von Grundstücken in Erbpacht. Mit der Ankündigung, städtische Grundstücke an Genossenschaften zu verkaufen, wird diese Rechtsform auch für Investoren attraktiv, die bisher keine Neigung zeigten, guten und preiswerten Wohnraum bereitzustellen.

Wenn Förderung und eine satte Rendite winken, warum dann keine Genossenschaft gründen? Wie schnell das gehen kann, zeigt der Fall der geplanten Architektengenossenschaft. Nach der Unternehmergenossenschaft „Job und Wohnen“  wäre die AIV-Genossenschaft ein weiterer dreister Versuch, in Berlin an Grundstücke zu kommen, die für die gemeinwohlorientierte Verwendung durch landeseigene Wohnungsunternehmen oder Genossenschaften vorgesehen sind. Die stadtentwicklungspolitischen Folgen hier wären aber weit verheerender als bei dem kleinen Spandauer Werkswohnungsprojekt, denn die Bebauung des Molkenmarkts hat Signalcharakter für die weitere Entwicklung der Innenstadt. Im Kern geht es um die Frage, ob die Innenstadt für Gutbetuchte reserviert werden soll oder dort Wohnen für alle möglich bleiben soll. Der neue Senat macht kein Hehl daraus, dass er auch das Areal nördlich des Roten Rathauses entsprechend den Vorgaben des „Planwerk Innenstadt“ mit hochpreisigen Wohnungs- und Gewerbeimmobilien bebauen lassen will (s. etwa hier ).

Der neue Trend zu Genossenschaftsgründungen hat aber nicht nur eine soziale, sondern auch eine genossenschaftspolitische Dimension. Genossenschaften stehen für eine soziale und solidarische, gemeinwohlorientierte Stadtentwicklung. Der Begriff „Gemeinwohl“ wird immer beliebiger, wenn sich auch renditeorientierte Investoren damit schmücken können, sobald sie in der Rechtsform einer Genossenschaft daherkommen. Es kann den Genossenschaften nicht egal sein, wenn Senat und interessierte Verbände Hand in Hand den Ausverkauf der Innenstadt an Investoren und wohlhabende Bewohner:innen forcieren und nicht so gut betuchte Berliner:innen immer weiter an den Rand verdrängen. Ganz abgesehen davon, dass, da der Grundstücks- und Förderkuchen nicht größer wird, immer mehr Stücke von solchen Investmentgenossenschaften verputzt werden.

Fehlentwicklungen aufzeigen, Grenzen ziehen

Es ist längst nicht mehr überall Genossenschaft drin, wo Genossenschaft draufsteht. Seit den letzten Novellierungen lässt das Genossenschaftsgesetz auch Modelle zu, die wie Investorenmodelle funktionieren (investierende Mitglieder als Entscheider, eigentumsorientierte Genossenschaft usw.). Auch die derzeit beliebten Mischmodelle – Genossenschaften plus Privatinvestoren finanzieren gemeinsam ein Bauprojekt – verwässern die Grenzen. Für findige Unternehmer:innen tun sich hier Scheunentore auf, um an Grundstücke und Finanzierung zu kommen.

„Investierende Mitglieder“ und „Eigentumsorientierung“ haben in Genossenschaften nichts zu suchen und sollten aus dem Genossenschaftsgesetz gestrichen werden. Dass dieses bald passiert, ist allerdings nicht zu erwarten.

Ein näherliegender Hebel ist eine Änderung der Förderpolitik. Der inflationäre Gebrauch des Gemeinwohlbegriffs als Förderkriterium und die Suche nach Alternativen beschäftigt die wohnungspolitische Diskussion seit längerem. Auf Bundesebene wird mit Gesetzentwürfen zur Neuen Wohngemeinnützigkeit versucht, härtere Kriterien für die Förderfähigkeit zu entwickeln.
In Berlin hatte 2021 das “Initiativenforum Stadtpolitik” in einem vielbeachteten Mietenpolitischen Dossier Vorschläge unterbreitet, eine Förderung nicht mehr an der Rechtsform, sondern an inhaltlichen Kriterien auszurichten.( s. dazu auch Beitrag von Elisabeth Voß auf dem Hearing im April 23)

Das hieße in der Konsequenz, dass Genossenschaften nur gefördert werden, wenn sie nachweisen, dass sie nach diesen Gemeinwohl- Prinzipien arbeiten. Aber auch andere Rechtsformen wie das Mietshäuser-Syndikat und andere gemeinwirtschaftliche Haus- und Wohnprojekte würden förderfähig, wenn sie die Kriterien erfüllen.

Die aktuelle Entwicklung rund um den Molkenmarkt macht sehr deutlich, wie überfällig eine solche Änderung ist. Das beste Rezept gegen solche Genossenschaften ist, ihnen den Geldhahn zuzudrehen und den Zugang zu landeseigenen Grundstücken zu verwehren.

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