Am 26. September vor zwei Jahren stimmten 57,6% der Berliner:innen in einem Volksentscheid für die Vergesellschaftung großer Immobilienvermögen. Dies war auch eine Klatsche für den BBU, der mit Gutachten und Stellungnahmen bis zum Schluss versuchte, dem Volksbegehren die Rechtmäßigkeit abzusprechen. Diese Auseinandersetzung gewährt interessante Einblicke in Strategien und Positionen eines ehemals gemeinwohlorientierten Verbandes, in dem heute der Immobilienkonzern Vonovia der größte Beitragszahler ist. Eine Chronologie aus Anlass des zweiten Jahrestages des Volksentscheids.
1. Akt: Wer zahlt schafft an: Ein Gutachten wird enttarnt
Der 20. März 2019 sollte für Maren Kern, Vorstandsvorsitzende des Verbandes Berlin-Brandenburgerischer Wohnungsunternehmen (BBU) ein kleiner Feiertag werden. Sie hatte eigens den Saal des Bundespresseamts (!) gemietet, um ihren Gast und seine Arbeit vorzustellen: Den „renommierten Universitätsprofessor Dr. iur. habil. Helge Sodan, Inhaber des Lehrstuhls für Staats- und Verwaltungsrecht, Öffentliches Wirtschaftsrecht und Sozialrecht an der Freien Universität Berlin, Präsident des Verfassungsgerichtshofes des Landes Berlin a. D.“ (so die Einladung zur Pressekonferenz). Sodan hatte im Auftrag des BBU ein Gutachten erarbeitet, in dem er auf 108 Seiten darlegt, dass die Vergesellschaftung großer Immobilienkonzerne, wie von der Initiative „Deutsche Wohnen & Co enteignen“ (DWe) gefordert, gegen Bundes- und Landesverfassung und ziemlich viele andere Paragraphen (Gleichbehandlungsgrundsatz, EU-Recht…) verstößt.
Aber das Papier entwickelte nicht die erwünschte Wucht. Denn aufmerksame Mitglieder von Genossenschaften waren auf Sodan und sein Gutachten gestoßen. In einem Offenen Brief erinnerten sie unter der Überschrift „Nicht in unserem Namen“ daran, dass Sodan für stockkonservative Rechtsauffassungen steht und bereits den Mindestlohn und ein Lobbyregister für verfassungswidrig erklärt hatte. Außerdem wiesen sie darauf hin, dass Deutsche Wohnen und Vonovia Mitglieder im BBU sind. Die Genoss:innen: „Wer zahlt, schafft an: Weil die Deutsche Wohnen SE nicht nur Berlins größter Vermieter ist, sondern auch größter Beitragszahler des BBU, wundert weder die Wahl des Gutachters noch das absehbare Ergebnis.“ Dieser Offene Brief erschien wenige Tage vor der Pressekonferenz in den Medien und wurde breit rezipiert. Das Gutachten war damit entwertet. Statt über die Inhalte wurde mehr über die Befangenheit des Gutachters und die Rolle von Deutsche Wohnen (DW) im BBU diskutiert.
Die Sodan-Affäre warf die grundlegende Frage nach der Glaubwürdigkeit des BBU auf. Dazu ein kurzer historischer Abriss: 1897 als genossenschaftlicher Selbsthilfeverband gegründet, vertrat der BBU die gemeinwohlorientierte Wohnungswirtschaft – vor allem Genossenschaften und öffentliche Wohnungsunternehmen. Dies änderte sich, als in Berlin große Teile dieser Landesbestände an Immobilienkonzerne verkauft wurden – allen voran an die Deutsche Wohnen und Vonovia, deren Geschäftsmodell – maximale Rendite – konträr zu dem der gemeinwohlorientierten Unternehmen steht. Sie wurden zu den größten Beitragszahlern im BBU mit entsprechendem Einfluss.
Diese Entwicklung blieb lange unter dem Radar der Öffentlichkeit und wurde nur in Fachkreisen diskutiert, der BBU konnte weiter unangefochten als Stimme der Gemeinwohlorientierung auftreten. Erst mit der offenkundigen Parteinahme für die Interessen von Deutsche Wohnen und Vonovia im Zusammenhang mit dem Volksbegehren wurde das Kräfteverhältnis im BBU deutlich und zunehmend wurden seine Stellungnahmen dahingehend untersucht, welche Interessen hier formuliert werden.
2. Akt: Die Genossenschaften-Werden-Enteignet-Kampagne
Mit einer zweiten Kampagne war der BBU „erfolgreicher“, denn hier blieben die Interessen von DW und Vonovia im Hintergrund.
Am 10. September 2021, also knapp zwei Wochen vor dem Volksentscheid (26.9.21) präsentierte der BBU ein Gutachten der Kanzlei Greenberg Traurig LLP („a multinational law and lobbying firm founded in Miami in 1967“, wikipedia), das zu dem Ergebnis kommt: Auch Genossenschaften mit mehr als 3000 Wohnungen wären von der Enteignung betroffen. BBU-Vorständin Maren Kern warnte bei der Vorlage des Gutachtens: „Mit einer Enteignung würden diese Genossenschaften auf einen Schlag ihre sämtlichen Wohnungen verlieren. Das wäre das Aus für diese Unternehmen, die auf eine Geschichte von bis zu 135 Jahren zurückblicken können und damit seit mehr als fünf Generationen Berlinerinnen und Berliner mit einem sicheren Dach über dem Kopf versorgen. Das sollte jeder und jedem sehr bewusst sein, wenn sie am 26. September ihr Kreuz machen.“
Der Anlass für das Gutachten war eine Diskussion unter Genossenschaftsvorständen, ob auch Genossenschaften vergesellschaftet werden könnten. Dem wurde zwar von der Initiative „Deutsche Wohnen & Co enteignen“ und vielen Expert:innen widersprochen, sorgte aber dennoch für Verunsicherung unter Genossenschaftsmitgliedern. Der BBU und die Marketinginitiative der Wohnungsbaugenossenschaften Deutschland e. V., die zuvor bereits durch eine umfangreiche Plakatkampagne gegen den Mietendeckel aufgefallen waren, befeuerten diese Verunsicherung durch Beiträge in den auflagenstarken Mitgliederzeitungen der Genossenschaften und auf einer eigens dafür geschalteten BBU-Webseite www.weiterdenken-statt-enteignen.de (inzwischen eingestellt).
Besonders in den großen Berliner Genossenschaftsbeständen in Marzahn-Hellersdorf, Treptow-Köpenick und Lichtenberg fand die massive Kampagne gegen den Volksentscheid Gehör und führte letztlich zur Ablehnung auch bei den Genossenschaftsmitgliedern, die sich in der genossenschaftlichen Tradition sehen und aus sozialer Verantwortung (nicht aus persönlicher Betroffenheit) die Vergesellschaftung unterstützten. Auch die eilends eingerichtete „Task-Force Genossenschaften“ der DWe-Initiative, die schwerpunktmäßig vor und in Wohnungsgenossenschaften Informationen verteilte und für ein „Ja zum Volksentscheid“ warb, konnte diese Stimmung nicht mehr drehen.
3. Akt: Ein vorläufger Schlussstrich – das Votum der Kommission
Der Volksentscheid wurde bekanntlich mit 57,6 % (amtliches Endergebnis) gewonnen, der damalige Senat setzte eine Kommission ein, deren 13 Mitglieder mit unterschiedlicher fachlicher Expertise die Verfassungskonformität einer Vergesellschaftung untersuchen sollten. Am 28. Juni 2023 übergab sie ihren Bericht an den Senat.
Das Ergebnis ist eindeutig: Vergesellschaftung ist verfassungsgemäß und angesichts der Lage auf dem Mietwohnungsmarkt auch angemessen, da kein anderes Instrument mit ähnlicher Reichweite zur Verfügung steht.
Auch hinsichtlich der Enteignung von Genossenschaften sind die Aussagen eindeutig. „Das Vergesellschaftungsvorhaben auf Unternehmen mit privatnütziger Gewinnerzielungsabsicht zu beschränken, ist als sachlicher Grund für die entsprechende Differenzierung anzuerkennen. Denn das Anliegen der Vergesellschaftung wendet sich gerade auch gegen die privatnützige Gewinnerzielung aus der subjektiven Berechtigung an Grund und Boden oder Naturschätzen oder Produktionsmitteln an sich, soweit diese aufgrund der herausgehobenen, wenn nicht existentiellen Bedeutung dieser Güter zu wirtschaftlichen, gesellschaftlichen und politischen Ungleichgewichten führt, wenn und weil Unternehmen und ihre Eigner mit diesen Gegenständen privatnützig wirtschaften und sich dabei zwar im Rahmen rechtlicher Grenzen, aber im Übrigen frei für eine Maximierung ihrer Gewinne entscheiden und ebenso frei über deren Verwendung befinden können.“ (S. 82) Wohnungsgenossenschaften, so die Kommission, muss es „essentiell darum gehen, ihre Mitglieder mit gegenüber dem freien Markt preiswerteren Wohnungen zu versorgen. Die Möglichkeiten des privatnützigen Gebrauchs der Wohnimmobilien als Vermietungsobjekte, die dem privaten Eigentümer an sich eröffnet sind, sind also durch die Wesensbestimmung der Genossenschaft erheblich begrenzt. Das unterscheidet die Wohnungsgenossenschaft von anderen inkorporierten Wohnungsunternehmen. Namentlich die Gewinnerzielung darf der Genossenschaft nicht Selbstzweck sein. Vielmehr muss die Erzielung von Gewinnen erforderlich sein, um den eigentlichen Förderzweck zu erfüllen, und sie muss sich im dadurch bestimmten Rahmen halten.“ (S. 83)
Diese Klatsche scheint der BBU nur schwer verdaut zu haben. Statt nun die Blockadehaltung gegen die Vergesellschaftung großer Wohnungsbestände als wichtigem Instrument einer sozialen Wohnungspolitik aufzugeben und sich aktiv in die Gestaltung der Umsetzung einzubringen, schreibt Maren Kern in ihrer Stellungnahme zum Kommissionsbericht ein wenig trotzig: Sie bleibe dabei, „eine Vergesellschaftung großer Wohnungsunternehmen ist weder mit dem Grundgesetz noch der Berliner Landesverfassung vereinbar.“
Fazit: Doppelstrategie zwischen Gemeinwohlgerede und knallharter Markpolitik
Mit der Zulassung der großen Aktienkonzerne in die Verbandsstruktur hat sich der BBU (ebenso wie dessen Dachverband GdW, der Bundesverband deutscher Wohnungs- und Immobilienunternehmen e.V.) weiter von den gemeinwirtschaftlichen Wurzeln entfernt und vertritt – mehr oder weniger offen – die Interessen der privaten finanzialisierten Wohnungswirtschaft.
Dabei fährt er eine – bisher erfolgreiche – Doppelstrategie: In seiner Politik unterstützt er renditegetriebene Wohnungsunternehmen, in seiner Außendarstellung tritt er auf als Erbe und Garant der gemeinwirtschaftlichen Wohnungspolitik (O-Ton Maren Kern: „Die BBU-Mitgliedsunternehmen sind klar gemeinwohlorientiert.“). Allerdings zeigt die negative Reaktion auf das erste Gutachten gegen die Vergesellschaftung, dass diese Strategie an ihre Grenzen stößt, wenn das Interesse von Vonovia und Deutsche Wohnen allzu deutlich wird. Die an die Genossenschaften gerichtete Kampagne hatte das gleiche Ziel, konnte aber gelingen, weil sie im Kontext der gemeinwohlorientierten Wohnungsunternehmen argumentierte und sich vermeintlich vor die Genossenschaften stellte – tatsächlich aber ihre Mitglieder in Angst versetzte, um sie dazu zu bewegen, gegen den Volksentscheid zu stimmen.
In dieser fragwürdigen, aber doch erfolgreichen Strategie des BBU spiegelt sich auch die Heterogenität eines Verbandes, der landeseigene Wohnungsunternehmen, Genossenschaften und Aktienkonzerne unter seinem Dach hat. Gerade die Genossenschaften sind kein einheitlicher Block. Eine Minderheit der Genossenschaften sieht sich durchaus in der Tradition der an Solidarität und Selbstverwaltung orientierten Genossenschaftsbewegung. Aber sie haben kaum Einfluss auf die Politik des Verbandes. Die Vorstände der großen Genossenschaften und der landeseigenen Unternehmen sind voll eingeschwenkt auf die Mechanismen und Anforderungen des finanzialisierten Wohnungsmarktes.
Eine innerverbandliche Opposition gegen diese Politik der Profitorientierung, die die Vorständin Maren Kern seit Jahren vorantreibt, ist nicht zu erkennen. So bleibt der BBU der einflussreichste Akteur in der Berliner Wohnungspolitik. Fast alle Vorstände von Genossenschaften und den landeseigenen Unternehmen gehören zu seinem Organisationsverbund, er hat exzellente Verbindungen zu den Entscheider:innen im Senat, und mit seinen Publikationen wie dem regelmäßig erscheinenden Marktmonitor verfügt er über mächtige Instrumente der Meinungsbildung.
Ausblick: Den BBU als Blockierer einer sozialen Wohnungspolitik ernst nehmen
Wer in Berlin Veränderungen in der Wohnungspolitik will, kommt am BBU nicht vorbei. Trotzdem stand der BBU lange Zeit als wohnungspolitischer Gegenspieler kaum im Fokus von wohnungs- und stadtpolitischen Initiativen. Klassische Gegner waren und sind die großen Immobilienkonzerne wie Heimstaden, Deutsche Wohnen, Vonovia & Co, denn die spürbaren Auswirkungen ihres renditeorientierten Handelns treiben die betroffenen Mieter:innen auf die Straße.
Die Kampagnen gegen den Volksentscheid und den Mietendeckel haben das geändert. Allzu deutlich wurde, dass der BBU nicht nur für „die Guten“ auf dem Wohnungsmarkt spricht, sondern bei der Gestaltung der Berliner Wohnungspolitik knallhart die Interessen der Konzerne ins Spiel bringt. Auf der Verbandsebene hat dies bisher wenig Folgen. Eine mit der Politik des BBU begründete Austrittswelle der Genossenschaften hat es nicht gegeben. Allerdings hat er auch kaum Neueintritte zu verzeichnen, bei neu gegründeten Genossenschaften stößt die Verbandspolitik auf Ablehnung. Diese schließen sich stattdessen dem „Prüfverband der kleinen und mittleren Genossenschaften“ (PKMG) an, der in den letzten Jahren deutlich gewachsen ist – so kürzlich die mit 170 Personen nicht gerade kleine Genossenschaft „Eine für Alle eG“.
Auf der politischen Ebene liefen Diskussionen zur Entflechtung meist ins Leere. Innerhalb der Linken gab es 2017 eine Initiative, einen eigenen Verband für die landeseigenen Unternehmen zu gründen. Diese Forderung schaffte es bis zu einem Antrag auf dem Landesparteitag der Linken, fand aber keine Mehrheit, da u.a. die damalige Senatorin Kathrin Lompscher sich massiv für den Verbleib im BBU aussprach.
Kritik kommt verstärkt aus der mieten- und stadtpolitischen Bewegung. Die größte Mieterorganisation, der Berliner Mieterverein, ist in den letzten Jahren stark auf Distanz zum BBU gegangen und informiert seine Mitglieder regelmäßig über Fehlentwicklungen. Kleine Initiativen wie DIE GENOSSENSCHAFTER*INNEN analysieren das Lobbynetzwerk des BBU. Auch in großen, traditionellen Genossenschaften ist einiges in Bewegung. Jüngere, wohnungspolitisch aufmerksame Berliner:innen ziehen ein, denen Selbstverwaltung und soziale Verantwortung am Herzen liegt. Dieser Generationswechsel findet seinen Widerhall in den Mitbestimmungsstrukturen. Diese neuen, aktiven Genoss:innen kandidieren für Vertreter:innenversammlungen oder den Aufsichtsrat, Gremien, in denen es in den letzten Jahrzehnten kaum Veränderungen gegeben hat. Häufig geben sie an, vor allem durch die Kampagnen des BBU und der Genossenschaftsvorstände motiviert worden zu sein, in die Selbstverwaltungsgremien einzusteigen. In einigen Genossenschaften wird über einen Wechsel des Prüfverbands diskutiert. Allerdings haben die Mitglieder in den meisten Genossenschaften dabei kein Mitspracherecht, da die Satzung diese Entscheidung dem Vorstand überlässt.
Noch ist der Einfluss des BBU weitgehend ungebrochen. Aber durch seine wüsten Kampagnen gegen Mietendeckel und Vergesellschaftung hat er selbst dazu beigetragen, dass sein Gerede „Alle unsere Mitglieder sind gemeinwohlorientiert“ als Fassade erkennbar wird, hinter der es gar nicht so sozial und gemeinwohlorientiert zugeht.