2022 – ein wohnungspolitischer Rückblick

Das vierte Jahr unseres Bestehens neigt sich dem Ende zu – im Mai 2023 werden wir unseren fünften Geburtstag feiern. Wo stehen die Berliner Genossenschaften, wo die Genossenschafter*innen heute? Ein Jahresrückblick.

Wohnungspolitisch war 2022 ein schwieriges Jahr: Die Vorkaufsregelung, ein zaghafter Schritt zur Bändigung der Spekulation auf dem Wohnungsmarkt, wurde von den Gerichten einkassiert. Die Entscheidung über die Vergesellschaftung, von der Mehrheit der Berliner:innen im Volksentscheid 2021 beschlossen, wurde auf die lange Kommissionsbank geschoben. Und das von Bürgermeisterin Giffey als Wundermittel gepriesene Bündnis mit der privaten Wohnungswirtschaft hat „viel gewollt und wenig erreicht“ (Berliner Zeitung, 14.12.), was nicht verwundert, da man auf freiwillige Vereinbarungen setzte, sonst wäre die private Wohnungswirtschaft ausgestiegen.Alles in allem traurige Kontinuität auf dem privaten Berliner Wohnungsmarkt: Boden- und Leerstandsspekulation gehen weiter, die Mietpreise galoppieren weiter nach oben, und Neubau entsteht zu großen Teilen für die Gutbetuchten und im Luxussegment. Und in den Auseinandersetzung um die Entwicklung der Innenstadt, wie am Molkenmarkt, werden Transparenz und Beteiligung zurückgedrängt. Aber es gibt auch einige Lichtblicke: Die Umwandlung von Mietwohnungen in Eigentumswohnungen in Milieuschutzgebieten konnte durch eine Verordnung gebremst werden, für die Mieter:innen in landeseigenen Wohnungen werden die Nettokaltmieten im kommenden Jahr eingefroren. Und auf Bundesebene beginnt eine Diskussion über die neue Wohngemeinnützigkeit. Und wie steht es um die Genossenschaften?

Wenig Bewegung bei den Genossenschaften

Sie wurden politisch aufgewertet: im Berliner Wohnungsbündnis waren sie erstmals nicht nur durch den BBU vertreten, sondern auch durch das Bündnis Junger Genossenschaften. Neue Impulse sind kaum entstanden, vor allem wurden alte Forderungen erneuert: Eine Aufstockung der Genossenschaftsförderung, – aus Sicht der Genossenschaften leider am liebsten ohne Mietpreis- oder Belegungsbindung –, mehr Grundstücke, aber nicht im Erbbau. Solche Einschränkungen widersprächen ihrer „genossenschaftlichen Selbstverwaltung“. Verbesserte Förderbedingungen liefen darum ins Leere, die Genossenschaften bauen nicht trotz hoher Rücklagen. Nur drei kleine Genossenschaften konnte der Senat Ende des Jahres präsentieren, die Wohnungen mit mehr als zwei Fünftel Belegungsrechten bauten (Tagesspiegel 15.12.). Die positiven Werte der Genossenschaftsbewegung – Selbstverwaltung, Selbsthilfe, Demokratie und günstiges, dauerhaftes Wohnen – haben es im Alltag vieler Genossenschaften nicht leicht.

Weltmeister in der Bestandsverwaltung

Was die Genossenschaften gut können: ihre Bestände verwalten. Statt Überschüsse für Investitionen zu nutzen, bieten sie den Altgenoss:innen, die seit Jahren dort wohnen, konkurrenzlos niedrige Nutzungsentgelte und häufig auch noch ein Sparguthaben mit Zinsen von 3% und mehr. Wen wundert’s, dass die Genoss:innen mehrheitlich sehr zufrieden sind. In einer aktuellen Umfrage der 1892 eG, die typisch für die Stimmungslage auch in anderen Genossenschaften sein dürfte, wird das niedrige Nutzungsentgelt neben dem lebenslangen Wohnrecht mit Abstand als wichtigster Vorteil einer Genossenschaft angegeben (1892 aktuell 4/22). Die Teilnahme an demokratischer Entscheidungsfindung ist nur für Wenige von Bedeutung. Vorstände können sich vor dem Hintergrund der aktuellen Unberechenbarkeit der Zins- und Baukostenentwicklung oft der Zustimmung der Mitglieder gewiss sein; auch dann, wenn sie die Verantwortung für den gesellschaftlichen Wohnungsversorgungsauftrag von sich weisen und sich auf den Status Quo konzentrieren. Hätten die Genossenschaften vor 100 Jahren so engstirnig gehandelt, gäbe es die meisten Genossenschaften vermutlich nicht, die heute so stolz auf ihre Geschichte sind.

Trotz dieser Rahmenbedingungen lassen wir uns nicht entmutigen. Als Initiative, die sich für die Stärkung des Genossenschaftsgedankens, für mehr soziale Verantwortung und mehr Demokratie einsetzt, machen wir weiter – in unseren Genossenschaften, mit der Unterstützung anderer Genoss:innen und auch als Teil der mietenpolitische Bewegung in Berlin, aus der die Genossenschafter*innen vor fast fünf Jahren hervorgegangen ist.

Wo lagen unsere Schwerpunkte 2022?

Erstens haben wir in Einzelfällen dort, wo Genoss:innen ihre Unzufriedenheit in Taten umsetzen wollten, Unterstützung geleistet:
– Bei einer Spandauer Genossenschaft, die wegen einer Fehlentscheidung des Vorstands in die roten Zahlen geraten war, führte diese gemeinsame Arbeit zu einer kleinen Revolution auf der Vertreter:innenversammlung. Vorstand und Aufsichtstrat wurde die Entlastung verweigert, neue Aufsichtsräte wurden gewählt.
– Eine vielversprechende Entwicklung gab es 2022 bei einer großen Traditionsgenossenschaft. Vor den Wahlen zur Vertreterversammlung traf sich eine Gruppe von Mitgliedern, um eine mögliche Kandidatur zu besprechen. Als hilfreich erwies sich dabei unsere Broschüre „Selbstverwaltet und solidarisch Wohnen“ (pdf hier). Ergänzend konnten wir Erfahrungen aus anderen Genossenschaften einbringen.
Genossenschaften sind – wieder – ein attraktives Wohnmodell für viele Familien und Wohngemeinschaften geworden. Damit zieht eine junge Generation ein, die mit neuen Ideen und kritischen Fragen kommt. Wir wollen weiter Ansprechpartnerin sein für diese Ansätze einer aktiven Bewohnerschaft.

Vernetzung, Vernetzung, Vernetzung

Zweitens: Die Kampagnen von Vorständen und Genossenschaftsverbänden gegen den Mietendeckel und den Volksentscheid haben das Ansehen der Genossenschaften in der mietenpolitischen Bewegung beschädigt. Nach unseren öffentlichen Gegenreden werden die Genossenschaften wieder differenzierter als Akteure mit einem besonderen Erfahrungsschatz wahrgenommen, der für die Transformation des Wohnungsmarktes von großer Bedeutung sein könnte. Deutlicher Ausdruck der Vernetzung mit „der Bewegung“ war unsere Teilnahme am Enteignungskongress im Mai, wo wir in zwei gut besuchten Workshops Modelle der Demokratisierung der Wohnungswirtschaft diskutierten. Auch unser Genossenschaftstag im September stand unter der Fragestellung, welchen Beitrag die Genossenschaften zur Demokratisierung der Wohnungswirtschaft leisten könnten – und warum sie diese Rolle derzeit nicht ausfüllen. Auf der öffentlichen Abendveranstaltung haben Juliane Lang, Andrej Holm und Jan Kuhnert über Stärken und Schwächen der Berliner Genossenschaften diskutiert.
Drittens: Wir wollen auch mit traditionellen Genossenschaften und Verbänden ins Gespräch kommen. Ein erster Schritt war der Besuch des cooperativ-werkraums (https://cooperativ-werkraum.de/ueber-uns/) und eine konstruktive Diskussion mit der Geschäftsführerin des Genossenschaftsforums, bei der auch unterschiedliche Sichtweisen zur Sprache kamen. Diese spannenden Diskussionen wollen wir im kommenden Jahr fortsetzen.

Auch mal das Positive sehen…

Viertens: Unsere Webseite „Genossenschafter-innen.de“ und der damit verbundene Newsletter haben sich inzwischen zu einer viel gelesenen Informationsquelle über Berliner Genossenschaften entwickelt. Eine kleine Leser:innenumfrage hat das bestätigt. Die Leser:innen wünschen sich neben den wohnungspolitischen Kommentierungen mehr Berichte aus Genossenschaften, vor allem auch positive Beispiele aus den Traditionsgenossenschaften.

Dem kommen wir gerne nach. Bleibt nur zu hoffen, dass wir in 2023 genügend positive Beispiele finden. Wir lassen uns überraschen.

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