Das Titelbild der neuen Ausgabe des „Mieterechos“ zeigt einen sonnenumstrahlten, freundlichen Möckernkiez. Im Blatt selbst aber geht es sehr unfreundlich zur Sache. Sind Genossenschaften gemeinwohlorientiert und sollen sie gefördert werden, fragt die Berliner Mietergemeinschaft, und kommt zu dem klaren Ergebnis: Nein.
Die Autor*innen führen im wesentlichen vier Gründe an, um ihre Thesen zu belegen:
1. Genossenschaften sind nach dem Gesetz den Interessen der Mitglieder verpflichtet, nicht dem Gemeinwohl.
2. Die sozialen Barrieren in den neuen Genossenschaften sind sehr hoch, die Nutzungsentgelte liegen zwar unter den Mieten auf dem freien Wohnungsmarkt, aber die Eigenanteile, die die Mitglieder aufbringen müssen, liegen durchweg über 400€/qm. Geringverdienende haben keine Chance.
3. Die Genossenschaften sind mit Fördermitteln in den letzten Jahren aufgepäppelt worden, ohne eine entsprechende Gegenleistung für das Gemeinwohl/die soziale Wohnungsversorgung zu bringen.
4. Die Genossenschaften schütten lieber Gewinne aus und hübschen ihre Anlagen auf, statt in den notwendigen Neubau zu investieren.
Fazit des Mieterechos: Bei dem aktuellen „Hype“ um die Genossenschaften handelt es sich um nichts anderes als grüne Klientelpolitik.
Was ist von den Argumenten zu halten?
1. Genossenschaftsbauten gehören keinem Investor, sondern der Gesamtheit der Mitglieder. Sie sind nicht auf die Erzielung eines möglichst hohen Gewinns ausgerichtet, das bedeutet aber in der Tat nicht, dass sie von vornherein Teil der Gemeinwohlökonomie sind. Zweck der Genossenschaften, so bestimmt es das deutsche Genossenschaftsgesetz, ist die Förderung der Mitglieder – und nicht die Förderung einer – undefinierten – Allgemeinheit.
Wenn in den letzten Jahren (Wohnungs-)Genossenschaften stärker als Teil der Gemeinwohlökonomie wahrgenommen werden, dann sind dafür zwei Entwicklungen maßgeblich verantwortlich:
– Die Verwerfungen des Immobilienmarktes v.a. in den Großstädten, die insbesondere bei den Neuverträgen zu explodierenden Mieten und zur Verdrängung von Mietergruppen bis hin in die Mittelschicht führen, haben grundsätzliche Fragen der Funktionsweise eines privatkapitalistisch organisierten Wohnungsmarktes aufgeworfen. Das Sichtbarwerden der Folgen einer weitgehend ungehemmten Marktorientierung hat die Suche nach Alternativen forciert.
– Idee und Praxis des Genossenschaftswesens als „Dritter Weg“ gewinnen vor diesem Hintergrund eine neue Bedeutung. Die ursprünglichen Grundwerte der Genossenschaften – Solidarität, Selbsthilfe und Selbstverwaltung sowie Verantwortung gegenüber Umwelt und Gesellschaft – werden bei vielen Menschen (nicht nur Genossenschaftsmitgliedern) wieder stärker präsent. Diese Renaissance des Genossenschaftsgedankens ist in vielen Bereichen zu beobachten – lokales Geld, Sozial- und Gesundheitswesen, Energie und Wasser, lokal-regionale Versorgung mit guten Lebensmitteln, neue Wohnformen usw.
Gerade neue Genossenschaften fühlen sich diesen Zielen verpflichtet und haben die Werte der Gemeinwohlökonomie – Zugang, Selbstverwaltung, Solidarität, ökologische Nachhaltigkeit, Gleichheitsrechte – in ihre Gründungsstatuten eingeschrieben. Aber auch in den Altgenossenschaften werden die Rufe nach der Wiederbelebung dieser Genossenschaftswerte lauter.
2. Miete und soziale Barrieren: Während die Nutzungsentgelte in den Altgenossenschaften meist noch deutlich unter dem Marktniveau liegen, sind genossenschaftliche Neubauwohnungen nur mit Entgelten zu haben, die sich knapp unterhalb der Neubaumieten im freifinanzierten Wohnungsmarkt bewegen. Dieses hat in den neuen Genossenschaften zu einer deutlichen „Mittelschichtsorientierung“ geführt. Hier sollten aber Ursache und Wirkung nicht verwechselt werden. Während die städtischen Wohnungsgesellschaften in den letzten Jahren durch Anhebung des Kapitalstocks um mehrere 100 Mio. Euro, durch Grundstücke und direkte Subventionen in die Lage versetzt wurden, preisgünstig zu bauen und zu vermieten, mussten die meisten Genossenschaften sich über den Kapitalmarkt selbst finanzieren. Die Möckernkiez eG am Gleisdreieck-Park, die mit Nutzungsentgelten von 11€ im Durchschnitt und einem Anteil von 900€/qm in einem Beitrag im Mieterecho als Negativbeispiel herhalten muss, musste sich ohne jeden städtischen Zuschuss finanzieren. Die einzige Förderung war eine KfW-Förderung aufgrund des Energieeffizienzstandards, die jedem Bauherren zugestanden hätte. Dass bei einer Vollfinanzierung über den Kapitalmarkt keine „Sozialmieten“ zu erreichen sind, braucht keine große Rechenleistung.
3. Insofern ist es einfach falsch, dass die Genossenschaften mit Fördermitteln aufgepäppelt worden sind. Erst in den letzten Jahren hat es eine kleine Änderung der städtischen Politik gegeben, die auch schon erste Wirkung zeigt. So sind durch die Kombination mehrerer Fördermöglichkeiten – städtische Mittel, Stiftungsgelder, Solidarfonds – in einigen neuen Genossenschaften große Wohnungsanteile zu Preisen zu haben, die auch das Mieterecho für akzeptabel halten würde.
4. Diese Mittel gibt es auch nicht zum Nulltarif, sondern sind an WBS-Belegungsrechte gebunden. Grundstücke werden i.d.R. in Erbbaupacht vergeben. Aber, und hier legt das Mieterecho zu Recht den Finger in die Wunde: Diese Mittel werden von den Genossenschaften kaum abgerufen. Manche Gründe sind nachvollziehbar. So ist es gerade für neue Genossenschaften kaum möglich, ohne Absicherung durch ein Grundstück an die notwendigen Bank-Kredite heranzukommen. Hier wären Bürgschaftsmodelle notwendig, um Erbbau praktikabel zu machen. Andererseits haben gerade die Altgenossenschaften in den letzten Jahren fette Finanzpolster angesetzt, die einen Neubau zu den Bedingungen der Senatsförderung auch in großem Umfang möglich machen würde. Wie sich auch in den Auseinandersetzungen um den Mietendeckel gezeigt hat, lehnen die meisten Genossenschaftsvorstände jede Förderung, die mit staatlichen Vorgaben wie Erbaurecht und WBS-Quoten verbunden ist, mit der Begründung ab, dieses sei ein ungebührlicher Eingriff in ihre Rechte. Ohne Förderung aber sind sie nicht in der Lage, Neubauwohnungen zu akzeptablen Preisen anzubieten. Auch genossenschaftsinterne Solidarmodelle, in denen Besserverdienende kollektiv eine Wohnung subventionieren, werden daran grundsätzlich nichts ändern.
Fazit: Genossenschaften sind nicht von vornherein gemeinwohlorientiert, sie müssen dies in der Praxis nachweisen. Hinsichtlich der Neubaufrage ist derzeit der Lackmustest, inwieweit Genossenschaften bereit sind, die Bedingungen der Fördermittelvergabe zu akzeptieren, verpflichtend preisgünstigen Wohnraum zu schaffen und nicht nur die Altbestände zu verwalten.
Bei der weiteren Diskussion um die Gemeinwohlorientierung von Genossenschaften wird es aber auch um eine Klärung der Frage gehen, was gemeinwohlorientierter Wohnungsbau überhaupt ist. Die Autor*innen des Mieterechos haben einen strikt monofaktoriellen Ansatz: Gemeinwohl = niedrige Miete. Ob diese Engführung gerechtfertigt ist, ist zumindest infrage zu stellen. Auch Kriterien wie Partizipation und Selbstverwaltung, kollektive Formen des Zusammenlebens, Entwicklung ökologischer Baustandards usw. sind Teil der Gemeinwohlorientierung. Verfahren wie die Erstellung einer verschiedene Kriterien berücksichtigenden Gemeinwohlbilanz, in der selbstverständlich auch der soziale Zugang ein gewichtiger Faktor sein muss, böten hier einen differenzierteren Blick auf die Gemeinwohlorientierung einer Genossenschaft. Dieses festzustellen, relativiert jedoch nicht die zentrale Aufgabe von Genossenschaften, preiswerten Wohnraum auch beim Neubau zu schaffen.
Günter Piening