Presseschau:

Genossenschaften – nur „Solidarisch mit sich selbst“?

Nachdem sich in der Auseinandersetzung um den Mietendeckel und das Volksbegehren viele Genossenschaften offen auf die Seite der Immobilienlobby geschlagen haben, zieht Wohnungsbauexperte Nicolas Šustr im nd eine kritische Bilanz der aktuellen Genossenschaftsszene: Genossenschaften seien nur solidarisch mit sich selbst, „agieren als Zusammenschluss von Kleinkapitalisten“. Echte Veränderungen erwartet er bis auf weiteres nicht, Initiativen wie DIE GENOSSENSCHAFTER*INNEN, die sich für mehr Demokratie und eine solidarische Wohnungspolitik einsetzen, zeigten noch keinen „durchschlagenden Erfolg“. Zum Text: Hier

Die Genossenschaftsidee lebt – trotz allem!

Am 26. März fand eine Veranstaltung zu Genossenschaftsfragen statt, die die Initiative „Genossenschaft von unten“ in Kooperation mit der Rosa-Luxemburg-Stiftung durchführte. Auch eine Vertreterin der GENOSSENSCHAFTER*INNEN hielt ein Grußwort, das wir im Wortlaut dokumentieren. (mehr …)

Genossenschaftswohnungen sind keine Ware! Genossenschafter*innen diskutieren Mietenkonzeption

Mieten – eigentlich korrekt Nutzungsentgelte –  sind auch in Genossenschaften ein Thema. Das wurde nicht zuletzt deutlich, als auch in Genossenschaften nach dem Mietendeckelgesetz Nutzungsentgelte gesenkt werden mussten.  Wie kann das sein, wo doch Genossenschaften gemeinhin mit niedrigen Mieten in Verbindung gebracht werden? Mehr noch, inzwischen fordern viele Genossenschaften – abgesehen von einigen rühmlichen Ausnahmen – von den Wohngenoss*innen die eingesparten Mietanteile zurück. Nicht gerade sehr genossenschaftlich. (mehr …)

Nachhaltig wirtschaften – aber wie?

Es geht nicht nur – aber auch um Wohnen: In einer mehrteiligen Artikelserie in der Berliner Umweltzeitung Rabe Ralf beschreibt die Journalistin und Genossenschaftsexpertin Elisabeth Voß die Baustellen einer solidarischen Wirtschaftsweise. Hier die Folgen:

Teil 1: Vorschlag zum Gelingen – mit Donut-Ökonomie und demokratischer Umsetzung

Über das Wirtschaften zwischen sozialen Mindeststandards und planetaren Grenzen, und über ein Nachhaltigkeitsverständnis, das der Wirtschaft keine eigenen Rechte einräumt, sondern sie in den Dienst sozialer, ökologischer und demokratischer Ziele stellt.

Weiter zum Rabe Ralf Februar/März 2020

Teil 2: Weniger Globalisierung und Wachstum durch Corona – eine Chance zum Umsteuern?

Über Wachstumsrücknahme angesichts Corona und die Notwendigkeit eines öffentlichen, demokratisch gesteuerten Wirtschaftssektors für ein gutes Leben für Alle überall.

Weiter zum Rabe Ralf April/Mai 2020

Teil 3: Trotz allem nicht aufgeben – Wirtschaftsdemokratie!

Über Corona-Rettungsschirme für Konzerne und Kohleverlängerungsgesetz, obwohl an Luftverschmutzung und Klimakatastrophe viel mehr Menschen sterben als an Corona. Über eine Agrarindustrie, die Hunger und Pandemien verursacht, und warum jetzt eine Demokratisierung der Wirtschaft nötig ist.

Weiter zum Rabe Ralf August/September 2020

Teil 4: Auch in Berlin: Profitable Raubzüge und hoffnungsvolle Alternativen

Über Menschen, die nicht geschützt werden, über die Zerstörung selbstorganisierter Freiräume und warum Social Business nur Symptome lindert aber keine Ursachen beseitigt. Dafür sind selbstverwaltete, genossenschaftliche Ökonomien nötig und Alltagskämpfe, wie die „Shut down Mietenwahnsinn“-Demo im Juni 2020, an der auch die Genossenschafter*innen teilnahmen.

Weiter zum Rabe Ralf Dezember 2020/Januar 2021

Bilanz des Alternativen Genossenschaftstages

Pressemitteilung 27.09.2020

Mit dem Alternativen Genossenschaftstag am 25./26. September 2020 ist die Vernetzung von Mitgliedern aus Berliner Wohnungsgenossenschaften einen großen Schritt weitergekommen. Sie wollen, dass ihre Genossenschaften in diesen Zeiten eines angespannten Wohnungsmarktes einen größeren Beitrag zur Wohnraumversorgung leisten.

Auf der Podiumsdiskussion am Freitagabend, die als Livestream aus dem Aquarium, einem beliebten Kreuzberger Veranstaltungsort am Kottbusser Tor übertragen wurde, berichtete Werner Landwehr, Vorstand der Genossenschaft DIESE eG, die mehrere Häuser im Rahmen bezirklich ausgeübter Vorkaufsrechte erworben hat, dass viele junge Genossenschaften gerne neu bauen würden, aber keine geeigneten Grundstücke bekommen. Auch eine Genossenschaftsförderung gäbe es praktisch nicht. Der Stadtforscher Andrej Holm stimmte zu und kritisierte, dass die Förderung vom Senat ohne Rücksprache mit den Genossenschaften konzipiert wurde. Er stellte aber auch klar, dass Genossenschaften, wenn sie staatliche Förderung erhalten wollen, Verpflichtungen – zum Beispiel zur Wohnungsvergabe an Menschen mit niedrigen Einkommen – eingehen müßten.

Genossenschaften brauchen mehr Demokratie

Die veranstaltende Initiative DIE GENOSSENSCHAFTER*INNEN gründete sich 2019 aus Protest gegen die Politik der Genossenschaftsvorstände und der Dachverbände wie dem BBU, die versuchten, den Mietendeckel zu verhindern – gegen die Interessen vieler Genossenschaftsmitglieder. Die Forderung nach einer Demokratisierung von Genossenschaften zog sich wie ein roter Faden durch die vier Workshops am Samstag. Mitglieder aus vielen Berliner Wohnungsgenossenschaften trugen Ideen und Vorschläge zusammen.

Damit sich Genossenschaften von profitorientierten Immobilienunternehmen unterscheiden, müssen sich die Mitglieder stärker beteiligen können. Vorstände, Aufsichtsräte und Mitarbeiter*innen brauchen eine Ausbildung im Sinne des Genossenschaftsgedankens der wirtschaftlichen Selbsthilfe. Heiner Koch (Wohnungsgenossenschaft Treptower Park) schlägt vor, einen Leitfaden zu erstellen, wie Mitglieder sich organisieren und sich besser für ihre Rechte einsetzen können. Für Thomas Schmidt (Berliner Bau- und Wohnungsgenossenschaft von 1892) reicht das nicht aus: „Das Genossenschaftsgesetz muss geändert werden, damit die Mitglieder mehr Rechte haben“.

Je 80 Wohnungen für Geflüchtete und für soziale Träger bis Ende 2021

Genossenschaften sollen verstärkt Wohnraum anbieten für diejenigen, die kaum Chancen am Wohnungsmarkt haben, beispielsweise Obdachlose oder Geflüchtete. Bea Fünfrocken (XENION und Wohnungsbaugenossenschaft Am Ostseeplatz) schlägt vor, einen revolvierenden Fonds zu gründen, in den jede Genossenschaft zum Beispiel 3 Prozent ihres Bilanzgewinns einzahlt und aus dem die Einlagen für mittellose Mitglieder finanziert werden können. Als ersten Schritt solle „jede der ca. 80 Berliner Wohnungsgenossenschaften bis Ende 2021 mindestens eine Wohnung für Geflüchtete und eine Wohnung für soziale Träger zur Verfügung stellen“. Wichtig sei, ein solidarisches Leitbild für Genossenschaften zu entwerfen, in dem eine soziale Wohnungspolitik verpflichtend festgeschrieben wird.

Die Initiative DIE GENOSSENSCHAFTER*INNEN wird sich stärker mit der Mieter*innenbewegung vernetzen und gemeinsam zu einer Schnittstelle zur Politik werden. Günter Piening (Genossenschaft Möckernkiez): „Zur Abgeordnetenhauswahl 2021 werden wir Wahlprüfsteine aufstellen, um die Genossenschaftspolitik der Parteien zu erfragen“. Es muss sich einiges verändern in den Genossenschaften, aber auch Politik und Verwaltung sind gefragt, Genossenschaften wirklich bei der Umsetzung ihres Versorgungsauftrags zu unterstützen.

Der Alternative Genossenschaftstag ist zuende, der Vernetzungsprozess der Mitglieder geht weiter.

Rückfragen bitte an info@genossenschafter-innen.de. Wir melden uns zeitnah zurück.

Wohnraum für Alle in Genossenschaften?

Was können Berliner Wohnungsgenossenschaften zu einer sozialen Wohnungspolitik beitragen?

Genossenschaften gelten als dritte Säule der Wohnraumversorgung, neben dem Wohnen zur Miete und dem Wohnen im eigenen Eigentum. Sie wirtschaften zur Förderung ihrer Mitglieder – das schreibt auch das Genossenschaftsgesetz vor (§ 1 GenG) – nicht für Profite. Daher können Genossenschaften als eine Form Solidarischen Wirtschaftens verstanden werden.

Genossenschaften sind gekennzeichnet durch das Identitätsprinzip, das bedeutet, dass die Positionen Vermieter*in und Mieter*in, die sich am Immobilienmarkt mit antagonistischen Interessen gegenüberstehen, in einer Organisation vereinigt sind. Jedes Mitglied ist gleichzeitig kollektive*r Miteigentümer*in des Immobilienbestandes und Nutzer*in einer Wohnung.

Dieses soziale Verhältnis ist ein grundlegend anderes als das klassische Mietverhältnis, das ein Abhängigkeits-, ja letztlich sogar ein Unterordnungsverhältnis ist. Die Macht von Wohnungseigentümer*innen wird – oft nur notdürftig – durch mietrechtliche Vorgaben eingeschränkt. Demgegenüber liegt dem genossenschaftlichen Nutzungsverhältnis für einen Teil des gemeinschaftlichen Eigentums ein grundsätzlich würdigeres soziales Verhältnis zugrunde. Gleichwohl gilt im Streitfall auch in Genossenschaften in der Regel das Mietrecht – zum Schutz und zur Wahrung der Rechte der Mitglieder als Bewohner*innen.

Genossenschaftsmitglieder nutzen einen Teil des gemeinschaftlichen Eigentums

Genossenschaften, die sich ein Bewusstsein für ihre besondere Unternehmensform erhalten haben, schließen keine Miet-, sondern Nutzungsverträge ab, die in der Regel ein unkündbares Wohnrecht beinhalten. Gezahlt wird keine Miete, sondern ein Nutzungsentgelt. Dieses soll sich nicht am Markt orientieren, denn Genossenschaften quetschen ihre Mitglieder nicht aus „wie Zitronen“ (Berliner Mieterverein über die Deutsche Wohnen), sondern verteilen nur die anfallenden Kosten. Zumindest sollte es so sein.

In Berlin gibt es 188.400 Genossenschaftswohnungen, fast jede achte Mietwohnung gehört einer Genossenschaft (IBB Wohnungsmarktbericht 2019). Während die Angebotsmieten für Neuvermietungen berlinweit durchschnittlich 10,45 Euro pro Quadratmeter betragen, bieten Genossenschaften freie Wohnungen für 7,23 Euro/qm an (IBB). Die Bestandsmieten lagen Ende 2019 bei durchschnittlich 5,66 Euro pro Quadratmeter (BBU Jahresstatistik 2019). Um eine der begehrten Genossenschaftswohnungen zu bekommen, ist die Mitgliedschaft in der Genossenschaft und die finanzielle Beteiligung mit einer Einlage erforderlich.

In den großen, oft über 100 Jahre alten Genossenschaften halten sich die finanziellen Anforderungen in Grenzen. Sie berechnen sich meist nach der Anzahl der Zimmer einer Wohnung und bewegen sich im niedrigen vierstelligen Bereich. Allerdings haben viele Genossenschaften einen Aufnahmestopp, weil sie schon viel mehr Mitglieder als Wohnungen haben.

Die neueren Genossenschaften, die seit dem Ende des letzten Jahrhunderts gegründet wurden, haben noch nicht so viel Vermögen angesammelt. Die finanzielle Beteiligung wird meist nach der Größe der Wohnung berechnet, pro Quadratmeter muss eine Einlage zwischen einigen Hundert bis knapp eintausend Euro eingezahlt werden. So können erhebliche fünfstellige Beträge zusammenkommen. Aber auch hier gibt es kaum noch freie Wohnungen.

Nicht jede*r findet eine Genossenschaftswohnung

Für die soziale Wohnraumversorgung spielen Genossenschaften eine wichtige Rolle, aber die Nachfrage ist viel größer als das Angebot. Genossenschaften in Berlin errichten nur selten Neubauten – und wenn, dann sind sie teuer, mit nettokalten Nutzungsentgelte ab 10 Euro/qm aufwärts. Bauen kostet viel Geld und die Bodenpreise steigen weiter. Unter Klimagesichtspunkten ist Nachverdichtung in der Innenstadt auch kritisch zu sehen.

Wenn in Milieuschutzgebieten Häuser verkauft werden, bemühen sich mitunter Bewohner*innen darum, dass der Bezirk sein Vorkaufsrecht zugunsten einer Genossenschaft ausübt, und sind sogar bereit, dafür freiwillig höhere Mieten zu zahlen. Die Genossenschaft DIESE eG wurde für solche Fälle gegründet, kann jedoch vorerst keine weiteren Häuser aufkaufen.

Es sind nicht nur, aber auch finanzielle Barrieren, die dazu führen, dass die Bewohner*innenschaft von Genossenschaften oft eher homogen ist. Gerade für diejenigen, die in besonderem Maße auf eine soziale Wohnungsversorgung angewiesen sind, weil sie am Wohnungsmarkt Benachteiligungen unterliegen, sind auch Genossenschaften mitunter eher schwer zugänglich. Daher stellt sich auch die Frage, für wen Genossenschaften bauen – wenn sie dies überhaupt tun – und wem es gelingt es, sich vor Privatisierungen unter das Dach einer Genossenschaft zu retten.

Mitglieder fordern Mitbestimmung

Einige Fragen wirft auch die vielgerühmte genossenschaftliche Demokratie auf. Es stimmt, dass in Genossenschaften jedes Mitglied eine Stimme hat, unabhängig von der Höhe der finanziellen Einlage. Das unterscheidet Genossenschaften von Kapitalgesellschaften. Aber was nützt die gleichberechtigte Stimme, wenn es kaum etwas zu entscheiden gibt? In vielen Genossenschaften trifft der Vorstand die Entscheidungen, oft gemeinsam mit dem Aufsichtsrat. Die Mitglieder – oder in großen Genossenschaften die Vertreter*innen – werden bestenfalls informiert und vor vollendete Tatsachen gestellt.

Viele sind damit zufrieden und scheinen wenig Wert darauf zu legen, stärker in die genossenschaftliche Selbstorganisation eingebunden zu werden. Aber es regt sich auch Widerstand und immer mehr Mitglieder fordern ihre Mitbestimmungsrechte ein – zuletzt auch gegen Kampagnen von Lobbyverbänden der Immobilienwirtschaft und die leitenden Organe von Genossenschaften gegen den Berliner Mietendeckel – und damit auch gegen die Interessen der Genossenschaftsmitglieder, die auf bezahlbaren Wohnraum angewiesen sind.

Wohnungsgenossenschaften als Selbsthilfeorganisationen der Mitglieder können eine echte Alternative zu profitorientierten Immobilienunternehmen sein. Jedoch schöpfen sie ihre Potenziale bisher viel zu wenig aus. Wie können sie sich demokratisieren, ihre Bewohner*innenschaft diversifizieren und einen Beitrag zur sozialen Wohnraumversorgung mit bezahlbaren Mieten leisten? Und was könnte die Berliner Politik und Verwaltung zur Hebung genossenschaftlicher Potenziale beitragen? Mit diesen Fragen beschäftigt sich der Alternative Genossenschaftstag am Fr. 25. / Sa. 26. September 2020 in Berlin.

Der Text erschien erstmals in der Freitag Community am 24.9.2020

Die Podiumsdiskussion

Auf der Podiumsdiskussion am Freitagabend, die als Livestream aus dem aquarium, einem beliebten Kreuzberger Veranstaltungsort am Kottbusser Tor übertragen wurde, berichtete Werner Landwehr, Vorstand der Genossenschaft DIESE eG, die mehrere Häuser im Rahmen bezirklich ausgeübter Vorkaufsrechte erworben hat, dass viele junge Genossenschaften gerne neu bauen würden, aber keine geeigneten Grundstücke bekämen. Auch eine Genossenschaftsförderung gäbe es praktisch nicht. Der Stadtforscher Andrej Holm stimmte zu und kritisierte, dass die Förderung vom Senat ohne Rücksprache mit den Genossenschaften konzipiert wurde. Er stellte aber auch klar, dass Genossenschaften, wenn sie staatliche Förderung erhalten wollen, Verpflichtungen – zum Beispiel zur Wohnungsvergabe an Menschen mit niedrigem Einkommen – eingehen müssten. Bea Fünfrocken, selbst Aufsichtsrätin einer Genossenschaft, sah die Fixierung auf Staatshilfe skeptisch. Sie setzte  auf die Kreativität und Selbsthilfepotentiale der Genossenschaften, die eine Bewegung von unten wieder zur Geltung bringen müsse.

Da im Laufe der Übertragung eine erhebliche Verschlechterung der Tonqualität eintrat, ist dieses nur der erste Teil der Diskussion. Wir werden versuchen, die Audiospur zu reparieren und dann die gesamte Podiumsdiskussion zugänglich zu machen. Der ungeschnittene Originalclip findet sich hier:
https://www.youtube.com/watch?v=KP7rZcsG_AE
(
Diskussion beginnt bei Minute 55, bis dahin erscheint das einführende Standbild)

Fragen und Anmerkungen der Zuschauer*innen zur Podiumsdiskussion

Während der Podiumsdiskussion am 25.9.2020 gab es die Möglichkeit, über email Fragen und Anregungen zur Diskussion einzureichen. Welche Themen beschäftigen Genosssenschafter*innen? Hier dokumentieren wir einige Mails.

 

Gemeinwohlorientierung und Genossenschaften – Anmerkungen zum neuen „Mieterecho“

Das Titelbild der neuen Ausgabe des „Mieterechos“ zeigt einen sonnenumstrahlten, freundlichen Möckernkiez. Im Blatt selbst aber geht es sehr unfreundlich zur Sache. Sind Genossenschaften gemeinwohlorientiert und sollen sie gefördert werden, fragt die Berliner Mietergemeinschaft, und kommt zu dem klaren Ergebnis: Nein.

Die Autor*innen führen im wesentlichen vier Gründe an, um ihre Thesen zu belegen:
1. Genossenschaften sind nach dem Gesetz den Interessen der Mitglieder verpflichtet, nicht dem Gemeinwohl.
2. Die sozialen Barrieren in den neuen Genossenschaften sind sehr hoch, die Nutzungsentgelte liegen zwar unter den Mieten auf dem freien Wohnungsmarkt, aber die Eigenanteile, die die Mitglieder aufbringen müssen, liegen durchweg über 400€/qm. Geringverdienende haben keine Chance.
3. Die Genossenschaften sind mit Fördermitteln in den letzten Jahren aufgepäppelt worden, ohne eine entsprechende Gegenleistung für das Gemeinwohl/die soziale Wohnungsversorgung zu bringen.
4. Die Genossenschaften schütten lieber Gewinne aus und hübschen ihre Anlagen auf, statt in den notwendigen Neubau zu investieren.

Fazit des Mieterechos: Bei dem aktuellen „Hype“ um die Genossenschaften handelt es sich um nichts anderes als grüne Klientelpolitik.

Was ist von den Argumenten zu halten?

1. Genossenschaftsbauten gehören keinem Investor, sondern der Gesamtheit der Mitglieder. Sie sind nicht auf die Erzielung eines möglichst hohen Gewinns ausgerichtet, das bedeutet aber in der Tat nicht, dass sie von vornherein Teil der Gemeinwohlökonomie sind. Zweck der Genossenschaften, so bestimmt es das deutsche Genossenschaftsgesetz, ist die Förderung der Mitglieder – und nicht die Förderung einer – undefinierten – Allgemeinheit.
Wenn in den letzten Jahren (Wohnungs-)Genossenschaften stärker als Teil der Gemeinwohlökonomie wahrgenommen werden, dann sind dafür zwei Entwicklungen maßgeblich verantwortlich:
– Die Verwerfungen des Immobilienmarktes v.a. in den Großstädten, die insbesondere bei den Neuverträgen zu explodierenden Mieten und zur Verdrängung von Mietergruppen bis hin in die Mittelschicht führen, haben grundsätzliche Fragen der Funktionsweise eines privatkapitalistisch organisierten Wohnungsmarktes aufgeworfen. Das Sichtbarwerden der Folgen einer weitgehend ungehemmten Marktorientierung hat die Suche nach Alternativen forciert.
– Idee und Praxis des Genossenschaftswesens als „Dritter Weg“ gewinnen vor diesem Hintergrund eine neue Bedeutung. Die ursprünglichen Grundwerte der Genossenschaften – Solidarität, Selbsthilfe und Selbstverwaltung sowie Verantwortung gegenüber Umwelt und Gesellschaft – werden bei vielen Menschen (nicht nur Genossenschaftsmitgliedern) wieder stärker präsent. Diese Renaissance des Genossenschaftsgedankens ist in vielen Bereichen zu beobachten – lokales Geld, Sozial- und Gesundheitswesen, Energie und Wasser, lokal-regionale Versorgung mit guten Lebensmitteln, neue Wohnformen usw.
Gerade neue Genossenschaften fühlen sich diesen Zielen verpflichtet und haben die Werte der Gemeinwohlökonomie – Zugang, Selbstverwaltung, Solidarität, ökologische Nachhaltigkeit, Gleichheitsrechte – in ihre Gründungsstatuten eingeschrieben. Aber auch in den Altgenossenschaften werden die Rufe nach der Wiederbelebung dieser Genossenschaftswerte lauter.

2. Miete und soziale Barrieren: Während die Nutzungsentgelte in den Altgenossenschaften meist noch deutlich unter dem Marktniveau liegen, sind genossenschaftliche Neubauwohnungen nur mit Entgelten zu haben, die sich knapp unterhalb der Neubaumieten im freifinanzierten Wohnungsmarkt bewegen. Dieses hat in den neuen Genossenschaften zu einer deutlichen „Mittelschichtsorientierung“ geführt. Hier sollten aber Ursache und Wirkung nicht verwechselt werden. Während die städtischen Wohnungsgesellschaften in den letzten Jahren durch Anhebung des Kapitalstocks um mehrere 100 Mio. Euro,  durch Grundstücke und direkte Subventionen in die Lage versetzt wurden, preisgünstig zu bauen und zu vermieten, mussten die meisten Genossenschaften sich über den Kapitalmarkt selbst finanzieren. Die Möckernkiez eG am Gleisdreieck-Park, die mit Nutzungsentgelten von 11€ im Durchschnitt und einem Anteil von 900€/qm in einem Beitrag im Mieterecho als Negativbeispiel herhalten muss, musste sich ohne jeden städtischen Zuschuss finanzieren. Die einzige Förderung war eine KfW-Förderung aufgrund des Energieeffizienzstandards, die jedem Bauherren zugestanden hätte. Dass bei einer Vollfinanzierung über den Kapitalmarkt keine „Sozialmieten“ zu erreichen sind, braucht keine große Rechenleistung.

3. Insofern ist es einfach falsch, dass die Genossenschaften mit Fördermitteln aufgepäppelt worden sind. Erst in den letzten Jahren hat es eine kleine Änderung der städtischen Politik gegeben, die auch schon erste Wirkung zeigt. So sind durch die Kombination mehrerer Fördermöglichkeiten – städtische Mittel, Stiftungsgelder, Solidarfonds – in einigen neuen Genossenschaften große Wohnungsanteile zu Preisen zu haben, die auch das Mieterecho für akzeptabel halten würde.

4. Diese Mittel gibt es auch nicht zum Nulltarif, sondern sind an WBS-Belegungsrechte gebunden. Grundstücke werden i.d.R. in Erbbaupacht vergeben. Aber, und hier legt das Mieterecho zu Recht den Finger in die Wunde: Diese Mittel werden von den Genossenschaften kaum abgerufen. Manche Gründe sind nachvollziehbar. So ist es gerade für neue Genossenschaften kaum möglich, ohne Absicherung durch ein Grundstück an die notwendigen Bank-Kredite heranzukommen. Hier wären Bürgschaftsmodelle notwendig, um Erbbau praktikabel zu machen. Andererseits haben gerade die Altgenossenschaften in den letzten Jahren fette Finanzpolster angesetzt, die einen Neubau zu den Bedingungen der Senatsförderung auch in großem Umfang möglich machen würde. Wie sich auch in den Auseinandersetzungen um den Mietendeckel gezeigt hat, lehnen die meisten Genossenschaftsvorstände jede Förderung, die mit staatlichen Vorgaben wie Erbaurecht und WBS-Quoten verbunden ist, mit der Begründung ab, dieses sei ein ungebührlicher Eingriff in ihre Rechte. Ohne Förderung aber sind sie nicht in der Lage, Neubauwohnungen zu akzeptablen Preisen anzubieten. Auch genossenschaftsinterne Solidarmodelle, in denen Besserverdienende kollektiv eine Wohnung subventionieren, werden daran grundsätzlich nichts ändern.

Fazit: Genossenschaften sind nicht von vornherein gemeinwohlorientiert, sie müssen dies in der Praxis nachweisen. Hinsichtlich der Neubaufrage ist derzeit der Lackmustest, inwieweit Genossenschaften bereit sind, die Bedingungen der Fördermittelvergabe zu akzeptieren, verpflichtend preisgünstigen Wohnraum zu schaffen und nicht nur die Altbestände zu verwalten.

Bei der weiteren Diskussion um die Gemeinwohlorientierung von Genossenschaften wird es aber auch um eine Klärung der Frage gehen, was gemeinwohlorientierter Wohnungsbau überhaupt ist. Die Autor*innen des Mieterechos haben einen strikt monofaktoriellen Ansatz: Gemeinwohl = niedrige Miete. Ob diese Engführung gerechtfertigt ist, ist zumindest infrage zu stellen. Auch Kriterien wie Partizipation und Selbstverwaltung, kollektive Formen des Zusammenlebens, Entwicklung ökologischer Baustandards usw. sind Teil der Gemeinwohlorientierung. Verfahren wie die Erstellung einer verschiedene Kriterien berücksichtigenden Gemeinwohlbilanz, in der selbstverständlich auch der soziale Zugang ein gewichtiger Faktor sein muss, böten hier einen differenzierteren Blick auf die Gemeinwohlorientierung einer Genossenschaft. Dieses festzustellen, relativiert jedoch nicht die zentrale Aufgabe von Genossenschaften, preiswerten Wohnraum auch beim Neubau zu schaffen.

Günter Piening